Großvater

 Mein Großvater

Wer mein Buch gelesen hat, weiß, welchen Einfluss mein Opa auf meine Entwicklung genommen hat. Daher möchte ich ihm an dieser Stelle eine Art Denkmal setzen. So wie auf dem (uralten) Bild, genau so habe ich ihn in Erinnerung, diesen unglaublich tapferen und tiefgläubigen Mann, der sein Augenlicht und seine Gesundheit dem "Vaterland" geopfert hat, und über dessen Lippen nie ein Wort der Klage kam.

Er hat sein im 1. Weltkrieg Erlebtes, den Wendepunkt in seinem Leben, in Worte gefasst. Der Text, den er verfasst hat, passt zu der Melodie von "Ich hat einen Kameraden" und beschreibt so anschaulich, was ihm geschehen ist, und wie er das Erfahrende in sein Leben eingebettet hat, dass ich es hier veröffentlichen möchte:

Meine Kriegserblindung

am 15.06.1915


Meine Kriegserblindung,

Verlust der Zähne durch feindlichen Bajonettstich in die linke Wange,

Schädel-, Hirn-, Kiefer-, Schulter- und Armverletzung, sowie

sonstige kleine Handgranaten-Verwundungen


 1. Mein Vaterland, das Teure, durchzieh` ich oft zu Fuß,

   an meines Hundes Seite, der mir gibt das Geleite,

   weil er mich führen muss.


 2. Einst ging mit klaren Augen ich hin durch Dorf und Stadt,

   die Wunder zu betrachten, die mir viel Freude machten,

   mein Geist sie in sich hatt`.


 3. o, wunderbar Erinnern, o, große Herrlichkeit,

   die Nacht tät mich verschlingen, das Licht kann nur bezwingen,

   mein bitter Kriegesleid.


 4. Im Jahr 1915, am 15. Juni früh,

   zersprang mein` Schädeldecke, beinah` ging um die Ecke,

   des Soldaten Lebensmüh`.


 5. Die Wange durchgestochen vom Feindes Bajonett,

   die Zähne sind zerbrochen, zerhau`n die Kieferknochen,

   das Blut floß um die Wett`.


 6. Mein Geist, der war umnachtet, wohl um 30 Tag`,

   die Feinde mich dann brachten aus dem Gewühl der Schlachten

   in die Gefang`nenplag.


 7. Granat` und Schwertesschärfe zerfetzten all mein Glück,

   die Augen sind verschwunden, die Schulter arg zerschunden,

   so kehrte ich zurück.


 8. Ihr Metzeraler Höhen, Braunkopf voll Kampfesmut,

   ihr habt es ja gesehen, der Sturmesfahne Wehen,

   und der Gefall`nen Blut.


 9. Ein ganzes großes Opfer zernagt mir Herz und Sinn,

   viel` buchbedruckte Seiten, die einst mein Geist geleiten,

   dies Kleinod war dahin.


10. Ein Herr von plastisch Pünktchen, das wurde meine Schrift,

     die Finger drüber gleiten, damit mein Geist kann streiten

     gegen höllisches Gift.


11. Ein ganzes großes Wunder ich von der Technik hab`,

    der Schreibmaschine Tasten, die Finger drüber rasten

    und mir die Schreibkunst gab.


12. Wenn alles will verschwinden, mein Denken gar vergeht,

     soll sich mein Mund aufschwingen und meinem Gott lobsingen,

     mein Geist neu aufersteht.


13. Das Sait` und Blasgetöne hebt mich in diese Welt,

    mein Jesu, meine Freude, heb` mich auf jene Weide,

    die Du mir hast bestellt.


14. Die Muskulatur zu stählen, riet mir das Handwerk sehr,

    viel Schuh` und Stühl` zu flechten, Besen, Bürsten nach Kräften,

    stellt` für den Markt ich her.


15. Wir deutschen Kameraden, mit verlor`nem Augenlicht,

    wir haben uns verbunden, im Leiden zu gesunden,

   das unser Freud` nicht bricht.


16. Gar manche Todesstunde an mir vorüber flog,

    denn wenn mein Hund mich führte, die Nacht mein Hirn anrührte,

    mein Leib zu Boden flog.


17. Mein Geist in Nacht und Grauen, mein Geist ohn` Kompaß lag,

    in des Getriebsgetöse,  mein Zustand war so böse,

    als sei` s mein Sterbetag.


18. Wollt` jemand mich erlösen, aus solcher Höllenqual,

    mein treuer Hund ihm wehrte, der Retter sich dann kehrte,

    vor` s Hundes Zähne Zahl.


19. Wohl eine ganze Stunde lag ich dann ohn` Verstand,

    ach, komm, du Morgenröte, des Geistes Nebel töte,

    der meine Seele band.


20. Solch Schauspiel auf der Straße, das gab ich dann nicht mehr,

    ein treuer Mensch mich leitet, die Arme um mich breitet,

    dass ich nicht fall` so schwer.


21. Sitz ich dann mal alleine und denk` vergangener Pracht,

    die Blindennoten gaben durch Sang und Spiel zu laben,

    was Jesus mir gebracht.


22. Mein deutsches Vaterlande, für dich floß all das Blut,

    Gott steh dir bei im Leide, daß in dem Völkerstreite

    jed` grimm`ge Waffe ruht.


23. Es kann nicht Friede werden, bis Jesu Liebe siegt,

    und dieser Kreis der Erde, Geringe und Gelehrte,

    zu seinen Füßen liegt.     


Fritz Gülich

 

   

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