Fortgang Gerichtsverfahren


Weiterer Verlauf des Gerichtsverfahrens (Berufung der Behörde)    

Am 25. März 2022 hatten mein Anwalt und ich die Berufungserwiderung formuliert und zudem entschieden, eine Anschlussberufung einzulegen. Dabei habe ich die Jahre 2014 und 2015 angeführt, für die die Behörde mir auch keinen Berufsschadensausgleich gewährt hatte, weil ich in meiner Kanzlei Einkommen erzielt habe.  Uns war schon beim Einlegen der Anschlussberufung klar, dass wir damit wahrscheinlich kein Gehör finden würden, weil es nicht Gegenstand der 1. Instanz war, aber es war ein Versuch, die Gegenseite zu bewegen, die Berufung zurückzunehmen.  In dem Moment würde dann zwar auch die Anschlussberufung in sich zerfallen, aber wir hatten uns entschlossen, diesmal aus allen Rohren zu schießen.
Präzise führten  wir dem Berufungsgericht noch einmal unsere Argumente vor Augen,  immer bemüht, die Sachlichkeit zu wahren. Das Schreiben der Gegenseite ließ wieder einmal auf sich warten, aber - anders als im erstinstanzlichen Prozess - gilt im Berufungsverfahren, dass eine Berufung als zurückgenommen gilt, wenn der Berufungskläger das Verfahren länger als drei Monate nicht betreibt.  Eine sehr sinnvolle Regelung, wie ich finde. 

Als die Stellungnahme der Behörde vom 16. Mai 2022 dann auf meinem Schreibtisch landete, erkannte ich sofort wieder die alten Muster. Beleidigende, unbelegte und teilweise falsche Vorträge und Behauptungen waren zu lesen, und sogar zu Therapievorschlägen ließ sich die Bearbeiterin hinreißen. Obwohl mehr als drei Sachverständige, unter anderem Chefärzte von Unikliniken und auch Mr. Weinshenker M.D. in Rochester an der Mayo-Clinic beschrieben hatten, dass ich an einem Erschöpfungssyndrom leide (med. Fatigue-Syndrom), formulierte die Gegenseite es so, dass ich das Fatigue-Syndrom nun erstmalig behaupten würde. Das war in doppelter Hinsicht fehlerhaft: Erstens hatte ich bereits im meinem Anfangsantrag aus Februar 2006 das Fatigue-Syndrom aufgeführt und zum anderen auch im Klageverfahren vor dem Sozialgericht damit argumentiert. Zweitens halte ich es für gewagt, von "Behauptungen" zu sprechen, wenn derart viele Sachverständige und behandelnde Ärzte die Diagnose gestellt haben. 

Mit Schreiben vom 8. Juni 2022 haben mein Anwalt und ich fein säuberlich alles demontiert und noch einmal sämtliche Auszüge der Gutachten und Arztbriefe zusammengestellt. Außerdem legten wir noch einmal die Einschätzung der Deutschen Rentenversicherung vor, die mich schon 2004 als erwerbsunfähig eingestuft hatte und daran festhielt. Es war ein mühsames Unterfangen, weil so vieles aus der Luft gegriffen und ohne jeden Beweis angeführt worden war. Dennoch hat sich unsere akribische Arbeit gelohnt. 

Im Erwiderungsschreiben vom 17. August 2022 schlug die Behörde nun vor, ich solle einen Änderungsantrag stellen, um das Fatigue-Syndrom als Schädigungsfolge anerkennen zu lassen. Außerdem wurde bestritten, dass das CPAP-Gerät, dass meine Atemhilfsmuskulatur während der Nacht unterstützt, seitens der Berufungsklägerin finanziert würde. Der Vorschlag bezüglich des Änderungsantrags hätte ein kluger Schachtzug der Behörde sein können. Denn wäre ich dem Vorschlag gefolgt, hätte ich meinen eigenen Vortrag unglaubwürdig gemacht. In diesem Fall hätte ich nämlich eingeräumt, dass das Fatigue-Syndrom als eigenes Krankheitsbild ausdrücklich in den Schädigungskanon aufgenommen werden müsste. 

Es folgten weitere Spekulationen über meine Leistungsfähigkeit und endete schließlich mit dem Vorschlag, ich möge mich doch einmal im Haus der Behörde umsehen, die immerhin gut eine Fahrstunde von Bielefeld entfernt angesiedelt ist. Dort könne ich sehen, wie viele Menschen mit Behinderungen dort tätig seien. 

Am 21. September 2022 legten wir dem Gericht einen 18-seitigen Schriftsatz vor, in dem wir erneut den fehlerhaften und fragwürdigen Vortrag der Gegenseite Punkt für Punkt widerlegten und zu jeder einzelnen Erwiderung Beweis antraten.

Um die Haltung der Behörde auch gegenüber dem Landessozialgericht noch einmal zu verdeutlichen, stellte ich eine Übersicht über die vorherigen Verfahren zusammen:

- Ausgangsverfahren zur Anerkennung als Impfgeschädigte (02/2006 - 11/2011)

- Verfahren über die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (2011 - 05/2017)

- Verfahren über Berufsschadenausgleich (2017 - heute)

Die Behörde antwortete nur noch kurz. Am 11. Oktober 2022 teilte sie mit, sie halte einen weiteren Austausch über konträre medizinische Auffassungen nicht für zielführend und stellte dem Gericht anheim, diesbezüglich Beweis zu erheben, wie es so schön im Juristendeutsch formuliert wird. Das würde bedeuten, dass ein weiteres Gutachten über mich erstellt werden müsste. Erst war ich sprachlos, dann wurde mir aber schnell klar, dass dieser Vorschlag keineswegs sinnvoll ist, weil wir inzwischen das Jahr 2022 beenden, und die streitbefangene Zeit sich in den Jahren 2016/2017 bewegt. Wie bitte soll ein Gutachter heute meine Leistungsfähigkeit zu der damaligen Zeit beurteilen können? Es könnte sich allenfalls um ein Gutachten nach Aktenlage handeln. Und ein weiteres Argument war auf meiner Seite: Hätte die Behörde bereits damals ordnungsgemäß gearbeitet und gesetzestreu gehandelt, hätte sie bereits zum damaligen Zeitpunkt meine Leistungsfähigkeit überprüfen lassen müssen.

Aber es kommt ganz anders: Das LSG sieht, was mein Anwalt und ich übersehen haben. Seit 1. Januar 2022 sind auch Behörden verpflichtet, sämtliche Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument über das sogenannte besondere elektronische Behördenpostfach (kurz: beBPo) an die Gerichte zu übermitteln. Darauf hatte auch der Richter des Sozialgerichts Detmold in seiner Rechtsbehelfsbelehrung zu seinem Urteil vom 29. November 2021 ausdrücklich hingewiesen. Die Kollegin in der Behörde aber hatte die Berufungsschrift zunächst per Fax und anschließend per Post geschickt. Daher ist überhaupt keine formgerechte Berufung eingegangen.

Das LSG räumte der Behörde nun eine Frist von drei Wochen für eine Stellungnahme ein. Man beabsichtige, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, wurde meinem Gegenüber mit Schreiben vom 21. Oktober 2022 mitgeteilt. 

Erwartungsgemäß beantragte die Behörde nun die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und warf dem Gericht vor, die richterliche Hinweispflicht versäumt und damit gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen zu haben. Das Gericht forderte mich auf, nun hierzu Stellung zu nehmen. Soweit ich recherchieren konnte, gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema, weil es einfach noch zu jung ist, da seit der Verpflichtung zur Einreichung per beBPO erst elf Monate vergangen sind. Aber nach meiner Einschätzung kann es nicht die Aufgabe des Gerichts sein, die Versäumnisse der Parteien korrigieren zu müssen. Es mag sich anders verhalten, wenn eine Partei nicht anwaltlich vertreten ist, aber die Rechtsabteilungen der Behörden sollten doch mit den Formalitäten vertraut sein. So beantragte ich, die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand abzulehnen und die Berufung zu verwerfen. und finde sogar einen Beschluss des BGH (Bundesgerichtshof), in dem gesagt wird, dass der Fürsorgepflicht des Gerichts enge Grenzen gesetzt sind (BGH, Beschluss vom 25.06.2009 – III ZB 99/08).

Am 15. November 2022 legt die Behörde weiter nach und noch während mein Anwalt und ich unsere erneute Stellungnahme hierzu formulieren und abgeben, zieht die Behörde mit Schreiben vom 28. November 2022 die Berufung zurück.

Ich erfahre am Nikolaustag davon. Mein Mann und ich sind in Zürich und besuchen unsere Tochter, die dort arbeitet und lebt, als gegen 10 Uhr eine Email auf meinem Handy aufploppt.

WHOOOP! WHOOP! ;) lautet die Überschrift und dann der Text, als ich die Mail herzklopfend öffne: "good news im Anhang!"

Ich öffne also die pfd.Datei und lese die fünf Wörter, die allem ein Ende setzen: ....."nehmen wir die Berufung zurück."

Jetzt ist das Urteil des Sozialgerichts vom 29. November 2021 rechtskräftig, und ich habe in allen Punkten Recht bekommen. Es dauert, bis die Freude mich ganz erfasst. Kaum kann ich glauben, dass dieser, inzwischen fast siebzehn Jahren dauernde Kampf zu Ende sein soll. Nun warte ich zunächst auf den sogenannten Ausführungsbescheid, in dem das Amt für Soziales Entschädigungsrecht alles berechnen muss. Und es würde mich mehr als überraschen, wenn sich da nicht doch wieder Fehler finden würden.

Jedenfalls passt aber der Name des Stückes von William Shakespeare aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts auf meine vielschichtigen Verfahren gegen Landschaftsverband:

ENDE GUT, ALLES GUT!



Share by: